Zukunftsaufgabe der Profession ist die Schwammstadt.
Von Dr. Carlo W. Becker
Vor 20.000 Jahren lag eine dichte Schnee- und Eisschicht auf weiten Teilen Deutschlands. Die Durchschnittstemperatur war 5-7 Grad geringer als heute. Im Jahr 2100 wird die Temperatur um 2 Grad steigen, wenn es denn gelingt, die Klimaschutzziele einzulösen.
Es wird also heißer, vor allem durch das Zusammenfallen von Hitze- und Dürreperioden mit dem Dry-Spell-Effekt. Trockene Flächen, die nicht verdunsten, sorgen tagsüber nicht für eine Kühlung. Ein trockener Rasen ist an einem heißen Sommertag genauso so heiß wie eine Betonfläche.
Die Profession der Landschaftsarchitektur hat erkannt, dass Starkregen eine relevante Größe in der Freianlagenplanung ist. Wir wissen dies eigentlich seit längerem, aber die „Besondere Leistung“ Überflutungsnachweis wird jetzt erst regelmäßig beauftragt. Erst jetzt wird z.B. in Berlin ein Leitfaden erarbeitet, wie die Regenwasserbewirtschaftung bei der Entwicklung von städtebaulichen Projekten und der Aufstellung von Bebauungsplänen durch Leitpläne Regenwasser frühzeitig integriert werden kann. Wir reden von abflusslosen Siedlungsgebieten und koppeln ab.
Aber Hand auf’s Herz: Ist die konsequente Abkoppelung in der Praxis eine schon lange gelebte Selbstverständlichkeit?
Dr. Carlo W. Becker
Nein, keine Selbstverständlichkeit. Aber das aktuelle planerische Credo lautet: das Regenwasser rückhalten und vor Ort dezentral bewirtschaften. Das Wasser wird in Mulden und Rigolen gesammelt und dann vor Ort versickert.
Angesicht der zu erwartenden Hitzebelastung der Städte ist die Ableitung und Versickerung des Regenwassers aber falsch. Wasser darf nicht mehr abgleitet, aber auch nicht mehr in Größenordnung einfach versickert werden. Es wird benötigt, um es zu verdunsten und um die Stadtbäume mit Wasser zu versorgen. Wasser ist ein knappes Gut, das zur Kühlung der Städte genutzt werden sollte. Diesen Perspektivwechsel nenne ich das „Schwammstadt-Prinzip“.
Warum Schwammstadt?
Mit der Sonneneinstrahlung findet eine erhebliche Energiezufuhr statt. Wenn diese Energie auf feuchte, wassergesättigte Grünflächen trifft, kann das Wasser verdunsten. Es entsteht Verdunstungskälte, die auch als latente oder versteckte Energie bezeichnet wird. Dieser Prozess führt zu einer geringen Temperaturerhöhung. Bei der Verdunstung wird Energie verbraucht.
In der hoch versiegelten Stadt und in entwässerten Landschaften sind keine oder nur wenige solcher „Kühlschränke“ mit wassergesättigten Grünflächen vorhanden. Auf trockenen Flächen kann die Sonnenenergie nicht über Verdunstung „verbraucht“ werden. Damit entsteht die sensible Energie, die als Temperaturerhöhung wahrgenommen wird und zu den „Urban Heat Islands“ führt.
Selbst das große unbebaute Tempelhofer Feld in Berlin ist an einem sonnigen Sommertag, wenn die ausgedehnten Wiesenflächen trocken sind, deutlich heißer als die benachbarten Siedlungsgebiete mit ihren baumbestandenen Straßen und Gärten.
Die höchste Verdunstungsrate haben Feuchtgebiete (wetlands), da hier die Verdunstung über den Boden und über die Pflanze gleichzeitig erfolgen kann (Evapotranspiration). Offene Wasserflächen sind dagegen weniger günstig, da der Wasserkörper sich tagsüber aufheizt und nachts wie ein Wärmespeicher wirkt. Die Kühlung über Evapotranspiration funktioniert allerdings nur, wenn eine hohe nutzbare Feldkapazität gewährleistet wird, also Wasser für die Pflanzen tatsächlich zur Verfügung steht.
In der Konsequenz müssen wir „Schwammstädte“ planen, in denen versiegelte Flächen die Chance bieten, um Wasser zu sammeln. Das Wasser wird also nicht abgeführt, sondern zur Bewässerung der Bäume und der „urban wetlands“ – also verdichteten Verdunstungsbeete – genutzt. Damit wird ein Beitrag zur Kühlung der Stadt an heißen Sommertagen geleistet. Aber leichter gesagt, als getan. Denn die üblichen Regelwerke sind auf Abfluss und Versickerung ausgelegt. Verdunstung ist (noch) keine relevante Größe bei der Bemessung. Das Schwammstadt-Prinzip ist in der Praxis noch nicht angekommen.
Forschungsprojekt BlueGreenStreets
Im Forschungsprojekt BlueGreenStreets des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wird im Schwerpunkt „Ressourceneffiziente Stadtquartiere der Zukunft“ von einem interdisziplinären Forschungsteam untersucht, wie Bestandsstraßen wassersensibel, hitzeangepasst und grüner umgebaut werden können. bgmr entwickelt und begleitet im Modul „Multicodierter Straßenraumentwurf“ in Kooperation mit mehreren Städten Konzepte, wie bestehende Straßen transformiert werden können. Mit der Methodik „Research by design“ wird untersucht, welche Probleme und Schwierigkeiten bei der Anlage von blaugrünen Straßen entstehen und wie diese gelöst werden können.
Schwammstadt SchumacherQuartier in Berlin-Tegel
Wenn denn der BER eröffnet wird, können die Planungen für das neue SchumacherQuartier in Berlin Tegel umgesetzt werden. Das neue Stadtquartier mit über 5000 Wohneinheiten wird als weitgehend abflussloses Siedlungsgebiet geplant. Die natürliche Wasserbilanz wird als Ziel angestrebt. Das bedeutet, zwei Drittel Verdunstung und nur ein Drittel Versickerung. Auf den Bauflächen werden blaugrüne Dächer angelegt, dann gedichtete Verdunstungsbeete und erst das Restwasser wird der Versickerung zugeführt. Mit dieser Kaskade werden lediglich drei Prozent der versiegelten Flächen für die Versickerung benötigt. In den blaugrünen Straßen wird das Wasser verdunstet, das Restwasser speist einen wechselfeuchten Teich mit Überlauf in einer Versickerungsanlage in der Parkanlage. Somit wird das Wasser solange wie möglich im Stadtquartier zurückgehalten.
Versiegelte Flächen sind damit nicht mehr ein Problem, sondern bieten ein Flächenpotential, um Wasser für die Kühlung der Stadt zu gewinnen.
Graue Infrastruktur als Zukunftsaufgabe
Da in unseren Städten Flächen der grauen Infrastruktur wie Straßen, Stellplätze und Dächer reichlich vorhanden sind, tut sich in der Stadt im Klimawandel ein neues Aufgabenfeld auf. Graue Flächen nutzen, um mit dem Wasser das Grün feuchter zu machen, um Bäume zu bewässern und um die urban wetlands als Kühlräume zu versorgen.
Gleichzeitig müssen wir das Grau grüner machen, denn die grauen Flächen stellen in den immer dichter werdenden Städten eines der wenigen größeren Flächenpotentiale dar, um die Stadt hitzeangepasst und wassersensibel weiterzuentwickeln. Voraussetzung ist, dass die eindimensional geplanten Infrastrukturen multicodierter werden. Die Eindimensionalität von Fläche wird in eine Mehrdimensionalität überführt und das Blau und Grün der grauen Infrastrukturen gleich mitgedacht. Straßenräume sehen dann zukünftig anders aus.
Wie bereits festgesellt: Multicodierung ist meist einfacher gesagt, als in der Praxis umgesetzt. Es bleibt spannend.
Autor: Dr. Carlo W. Becker, Landschaftsarchitekt, bgmr Landschaftsarchitekten GmbH, Berlin. Der Text erschien in der bdla-Verbandszeitschrift "Landschaftsarchitekten" 4/2019.
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